Die „letzte Ruhe“ für 60 sowjetische Soldaten

„Vielen Dank, dass Sie das Andenken an die sowjetischen Kriegsgefangenen bewahrt haben...“

Gerstungen, den 22. Juni 2023. Für alle Anwesenden war wohl der erste Blick in das große Grabfeld ein sehr bewegender Moment, denn hier haben nun die sterblichen Überreste von insgesamt 60 sowjetischen Kriegsgefangenen - in kleinen schwarzen Särgen und jeweils geschmückt mit einer weißen Rose - ihre letzte Ruhestätte gefunden. Andachtsvolle Töne eines Bläserquartetts des Eisenbahnerblasorchesters überflogen zudem würdevoll das Friedhofsareal an diesem heißen Sommertag.

Passenderweise fiel der Tag dieser Gedenkveranstaltung zur Wiedereinbettung außerdem auf den 82. Jahrestag des Überfalls Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion.

In seiner Begrüßungsrede blickte Bürgermeister Rommert zurück auf die Anfang-40er-Jahre, in denen die Soldaten im Kriegsgefangenenlager „STALAG IXc“ im Richelsdorfer Tal Zwangsarbeit, wie etwa beim Bau der Autobahn/-brücke, leisten mussten. Untergebracht unter menschenunwürdigen Verhältnissen hatten viele der jungen Männer ihr Leben durch Krankheiten, Hunger oder an der Baustelle verloren, so auch Fedor A., der nach einem halben Jahr in Gefangenschaft im Alter von 32 Jahren 1942 im Richelsdorfer Tal verstarb.

Von weither angereist war an diesem Tag seine Urenkelin Anastasia S., die in ihrer Andacht mit ergriffenen Worten auf das Leben ihres Uropas zurückblickte. Er lebte in dem kleinen russischen Dorf in der Region Tula südlich von Moskau. Mit dem von der Enkelin mitgebrachten Portrait des jungen Mannes war ein direkter bildlicher Bezug zu dem einen kleinen Sarg, der nun die Nummer 13 trägt, geschaffen.

„Ich würde heute nicht hier stehen, wenn ich nicht die Hilfe und Beteiligung vieler fürsorglicher Menschen gehabt hätte, die ich hier in Deutschland getroffen habe!“ So dankte sie denen, die geholfen haben, den Weg des Urgroßvaters herauszufinden u. a. auch Herrn Heilemann und Herrn Hennicke von der Gemeinde Gerstungen sowie Herrn Hug vom Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge für ihr Engagement.

An der Veranstaltung nahmen weitere Ehrengäste u. a. Ministerialrat Herr Grünhage, Vertreter der Russischen Förderation sowie der Bundeswehr aus Bad Salzungen teil. Außerdem begleiteten wie Mitglieder des Gemeinderates, Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung, Vertreter der lokalen Polizei sowie Bürger die Zeremonie.

Dass mit den Namen der verstorbenen Soldaten so viele Einzelschicksale in Verbindung stehen, war noch einmal mehr in diesen Minuten der Stille spürbar, als Frau Zusmanova – Lehrerin am Gerstunger Gymnasium – würdevoll alle Vor-und Nachnamen vortrug.

„Ganz bewegt und berührt sind wir von den vielen Namen, die wir vorgelesen bekommen haben. Damit verbunden sind ganz eigene Persönlichkeiten unserer Verstorbenen“ untermalt Gerstungens Pfarrer Tittelbach-Helmrich. Und so stellte er auch die Frage, wie ein friedliches Miteinander gelingen mag. Die Antwort findet er in einer Bergpredigt aus der Bibel. Auf ihre letzte Reise begleitete der Pfarrer die Verstorbenen noch mit seinem Gesang des „Otche nasch“ = „Vaterunser“ auf kirchenslavisch.

Herr Hug, Geschäftsführer vom Thüringer Landesverband des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge, gedachte zum Abschluss allen Opfern von Krieg, Gewalt und Verfolgung sowie Terrorismus, Rassismus, Antisemitismus und allen Leidtragenden um die Toten: „Unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern.“ Unsere Verantwortung gilt dem Frieden zuhause und in der ganzen Welt“.

Der Einbettungsfeierlichkeit am 22. Juni voraus gingen die Umbettungsarbeiten im Richelsdorfer Tal. In Abstimmung mit dem Landesverwaltungsamt fiel die Entscheidung, dass die Maßnahmen zur Umbettung und Neugestaltung der bestehenden Kriegsgräberstätte auf dem Untersuhler Friedhof durch den gemeindlichen Eigenbetrieb „Gerstungen Grün und Service“ ausgeführt werden. Somit war sichergestellt, dass neben der Flexibilität aufgrund des ungewissen zeitlichen Verlaufs, alle Umbettungsarbeiten professionell und pietätvoll erfolgen konnten. Die Exhumierung fand in enger Zusammenarbeit mit dem hauptamtlichen Umbetter Herr Kozlowski sowie den ehrenamtlichen Umbettern Herrn Schildberg und Herrn Sander statt.

Während der Grabungsarbeiten im Richelsdorfer Tal restaurierte der Steinmetzbetrieb H. Schäfer nach den Gestaltungsplänen des Büros Möbius mühevoll den Gedenkstein, der 1977 den Weg auf den Untersuhler Friedhof gefunden hatte.

Nun sind der Obelisk und die Toten wieder vereint. Demnächst werden die Grabflächen ansprechend bepflanzt und die Namen der Verstorbenen angebracht.